Zwei Jahre Paul – Ein (B)Engel feiert Geburtstag
Wir schreiben den 2.2.2022 und mein Paulchen wird schon 2 Jahre alt. Das Männelein befindet sich seit ein paar Monaten inmitten seiner Pubertät, die ich in dieser Intensität bei noch keinem seiner Vorgänger erlebt habe.
WOW, kann ich da nur sagen. Holla, die Waldfee. Eine komplett neue Erfahrung. Man muss es erlebt haben, um mitreden zu können. Hätte man mir das vorher erzählt, ich hätte nur ein müdes Lächeln übrig gehabt und mir meinen Teil gedacht. Vielleicht habt IHR Probleme mit euren Hunden, aber WIR doch nicht…
Hovawart oder Nicht-Hovawart, das ist hier die Frage
Ich bin Tierschützer, ich adoptiere (Paul ist aus dem Tierheim), statt zu kaufen! Weshalb es mir sehr unangenehm ist, wenn ich nach der Rasse dieses traumschönen Hundes gefragt werde. Da man mich fragt, weiß man es offensichtlich nicht, weshalb ich in den meisten Fällen mit ‚Mischling‘ antworte. Es hat mir noch keiner widersprochen. Ich mag weder das Wort ‚Rasse‘, noch die damit verbunden Klischees. Mag mich darüber ungern austauschen und das Thema aufbauschen. Aber in Pauls Fall muss ich klein beigeben und gewisse Tendenzen zugestehen. Wie hat ein Freund, ein Hovawart-Kenner und -Liebhaber gesagt: Ein Hovawart schläft nicht, er wacht.
In der Tat wundere ich mich sehr oft, dass ich meinen müden Schatz eben noch im Tiefschlaf wähnte und eine Sekunde später steht er bei der geringsten Bewegung neben mir.
Ich liebe diesen Kerl über alles, habe immer einen wohlwollenden Blick, verzeihe ihm alles. Weil ich eins mit ihm bin, weil ich seine Blicke deuten und seine Gedanken lesen kann. Er ist auf dem Weg zum Erwachsenen, muss seinen Platz in dieser Welt erst noch finden. Muss sich der bedingungslosen Liebe seiner beiden Menschen erst noch bewusst werden.
Vor lauter Power und zeitweisen Hormonschüben, weiß er manchmal nicht, wohin mit sich selbst. Ich bin mir sicher, dass ich auf den ein oder anderen Außenstehenden zeitweise hilflos wirke. Knappe 37 Kilo wollen gezügelt werden, wenn es in Pauls Wahrnehmung suspekte menschliche oder tierische Begegnungen gibt. Zum ersten Mal weiß ich meine Körpergröße richtig zu schätzen. Tipps, wie den Hund auf die reizarme Seite zu nehmen und entspannt weiter zu gehen, vielleicht noch ein großen Bogen laufen, bringen mich da beileibe nicht weiter. Dafür müsste ich die Statur eines amerikanischen Basketball-Spielers haben.
Ich bin alles andere als hilflos, muss ich mich doch erst an Pauls Entwicklungsstadien gewöhnen und Strategien entwickeln, wie sie für ihn und uns am besten sind. Wir bleiben kurz stehen, mit magischer Kraft und einem gut sitzenden Geschirr, habe ich den jungen Mann im wirklichen Sinne des Wortes sicher im Griff und wenn der Sturm vorüber gezogen ist, setzen wir unsere Runde fort. Paul in Lauerstellung auf das nächste Abenteuer. Ich erleichtert, dass meine Superkräfte mich nicht im Stich gelassen haben.
Es wird aber langsam besser! Zumindest an guten Tagen, wenn Pauls aufwallende Hormone und vorwitzigen Spermien die weiße Fahne gehisst haben und sich kurz ausruhen müssen. Dann können wir in sicherer Entfernung gemeinsam stehen bleiben und die Objekte seiner Begierde mehr oder weniger gelassen beobachten.
Paul mutiert nicht von heute auf morgen. Er möchte mir einfach noch nicht glauben, dass seine Menschen besser wissen, was gut für ihn ist oder nicht. Diese Erkenntnis muss von ihm kommen, wir können ihn nicht dazu zwingen.
Ein Hovawart stellt gerne in Frage und entscheidet dann selbst – eine weitere Statute, an die ich mich erst gewöhnen musste. Oder, wie habe ich in einem Buch über Hunde in der Pubertät gelesen: Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht besetzt!
Ein Wort zur „Erziehung“
Noch keiner unserer Hunde hat je eine Hundeschule von innen gesehen. Waren alles Mischlinge, die wir vom Welpenalter an aus dem Tierheim oder vom Bauernhof geholt haben.
Als ich in meiner Kindheit meinen ersten Hund hatte, in den 80er Jahren, war das überhaupt kein Thema. Man hat aus dem Bauch heraus gehandelt und begleitet und alles war gut. Ich kann mich an keinen einzigen Zwischenfall erinnern. Keine Probleme unter Artgenossen, keine Diskussionen mit anderen Hundehaltern. Durchweg friedliche Koexistenzen. Heute scheiden sich am Thema Hundeerziehung die Geister. Das weiß ich erst, seit wir Paul haben. Weil ich für dieses Thema gegen meinen Willen sensibilisiert wurde. Man kann sich Probleme künstlich herbeireden und schließlich welche lösen wollen, wo es gar keine gibt. Unsere Hunde waren schon immer gleichberechtigte Familienmitglieder, haben nicht die Weltherrschaft übernommen, weil sie auf dem Sofa oder im Bett liegen oder beim Spaziergang voran gehen durften. Oder weil sie gleichzeitig mit uns die Mahlzeiten einnehmen und durchaus ein Anrecht auf den letzten Bissen auf unseren Tellern haben.
Pauls Vorgängerin war ein ganz braves Mädchen, hat sich für nichts anderes interessiert, als für uns, ihr wohlschmeckendes Essen und unsere ausgiebigen Spaziergänge. Deshalb hat es mich auch relativ kalt gelassen, wenn wir auf die Leinenpflicht hingewiesen wurden. Es gab nicht ein einziges Vorkommnis. Fahrräder, Jogger, Kinder, andere Hunde…, Wally blieb im Rande des Weges oder auf einer sicheren Wiese. Niemand konnte etwas anderes behaupten, der Erfolg gab uns recht. Im Umkehrzug habe auch ich nie Grundsatzdiskussionen und Wutreden geführt, wenn andere Hunde den Kontakt zu ihr gesucht haben. Sie mochte andere Hunde nicht, hat kurz die Lefzen gekräuselt und wir sind unseres Weges weiter. Auch hier gab es nie große Auseinandersetzungen oder gar Leichen.
Jetzt mit Paul ist das alles anders. Ein großer, schwarzer Hund, alleine das macht uns schon zur Zielscheibe. Noch dazu ist er sehr kontaktfreudig und hat nicht die geringste Ahnung, dass er in den meisten Fällen unerwünscht ist. Dieser Groschen musste auch bei mir erst fallen, zumal Paul noch nicht zuverlässig abrufbar ist. Mittlerweile weiß ich, dass es eines der größten Probleme in der Hundeerziehung ist. Wie bringe ich meinem Hund bei, dass er nicht zu anderen Hunden darf? Daran arbeiten wir gerade mit Hochdruck.
So habe ich gelernt, dass der Hund angeblich ein Einzelgänger ist und keine anderen Kontakte braucht. Weshalb der Mensch sich alle Mühe geben muss, wichtiger als seine Artgenossen zu sein. Kein Hundetrainer, der nicht unzählige und kostspielige Webinare, Workshops, CDs und Bücher anpreist, wie man sich als Mensch unentbehrlich macht.
Hilft nichts, wir müssen uns dem unterordnen. Ich weiß. Weshalb Paul gerade die meiste Zeit an der Leine bleibt und wir ständig auf der Suche nach menschenleeren Orten sind, an denen sich unser abenteuerlustiges Wildpferdchen dann doch mal kurz austoben kann. Mit mehr oder weniger Erfolg. Jeder sucht diese menschenleeren Orte, weil Hunde angeblich Einzelgänger sind. Aus dem Nichts taucht jemand auf, schon sehe ich nur noch Pauls entzückende Rückansicht.
Paul macht große Augen, wenn er von wildfremden Menschen angebrüllt, mit der Leine nach ihm geschlagen oder getreten wird, das kennt er nicht. Und so etwas geht gar nicht! Nur Paul zuliebe bewahre ich die Ruhe, denn er hat nichts falsch gemacht.
Wir kommunizieren und meistern konstruktiv und liebevoll unseren Alltag. Das geht vielleicht nicht so schnell, aber es funktioniert bestens.
Was nicht heißt, dass ich nicht ab und an auch mal mit Paul schimpfe. Es kocht der Kessel einfach manchmal bei ihm über – verursacht durch Hormonschübe, Abenteuerlust und eine zu verständnisvolle Mama. Es prasselt kurz ein Donnerwetter auf ihn nieder. Er ist sichtlich beeindruckt, weil ich davon nur höchst selten Gebrauch mache und ich spüre kurzzeitig ein leichtes Einlenken seinerseits. Das ist für mich persönlich auch ein Zeichen von Augenhöhe. Wie heißt es so schön: Ein Gewitter reinigt die Luft. Paul ist ein schlaues Kerlchen, er weiß ganz genau, wann er den Bogen überspannt hat und der Donnerhall überfällig war.
Mensch und Hund als gleichberechtigte Partner
Ich bin gerade alles andere als in meiner Mitte, obwohl es nicht ich bin, die in der Pubertät steckt. Die ständigen Anfeindungen stressen mich und ich möchte unter keinen Umständen diesen Druck an Paul weitergeben oder dass er die Unstimmigkeiten mitbekommt. Ich möchte ihm unbedingt seine Lebensfreude, seine Abenteuerlust und seine Unbedarftheit bewahren.
Ich spüre, wie glücklich er ist. Bin so stolz, dass er selbstbewusst und arglos, immer mit wedelnder Rute, sein Leben lebt.
Dank Google und Social Media bin auf den ein oder anderen Hundetrainer gestoßen, der freundlich und verständnisvoll vorgeht. In den letzten Jahren hat sich in punkto „Erziehung“ einiges getan. Der Verstand und die Verhaltensweisen des Hundes wurden komplett neu erforscht und in ein anderes Licht gerückt. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass man vermenschlichen und seinen Hund liebevoll begleiten darf. Intuitiv machen wir vieles richtig, aber es fühlt sich gerade alles etwas schwerfällig an. Pauls Pubertät und den Spagat zwischen seinem ungetrübtem Glück und dem Wohlwollen unserer Mitmenschen zu schaffen. Die neuesten kynologischen Forschungsergebnisse haben sich leider immer noch nicht bei allen klassischen Hundetrainern und-schulen herumgesprochen.
Die drei Säulen seines Wesens
Säule 1: Der Hovawart schläft nie, sondern wacht. Stimmt! Paul entgeht nichts, die Antennen sind immer auf Empfang. Schlimm? Nein. Ich kenne das von mir, ich bin auch gerne über alles informiert. Kann nie schaden. Das macht ihn auch so schlau und aufgeweckt. Außerdem mag ich, dass er aktiv am Leben teilnimmt.
Die Schattenseite dieses Wesenszuges: Stress für ihn. Jetzt, da er die Welt noch entdecken und hinterfragen muss. Warum tragen Straßenarbeiter auffällige Kleidung? Warum machen die Müllmänner so einen Krach? Warum poltert ein Fahrrad über das Kopfsteinpflaster? Warum steht da ein Fremder vor der Haustür? Warum schleicht da einer mit Kapuze und Mobiltelefon auf der anderen Straßenseite? All diese außerordentlichen Begegnungen gepaart mit einer pubertären Hormonwallung. Erfahrung macht ihn aber klug und es gibt Tage, da können wir ganz entspannt unseren Spaziergang fortsetzen.
Säule 2: Ein Hovawart hinterfragt zuerst und reagiert nicht gleich. Stimmt! Das schätze ich sehr an ihm. Seinen eigenen Kopf und weit entfernt von bedingungslosem Gehorsam. Alles richtig gemacht! Ich würde nicht wollen, dass er mit demütigem Blick, eingezogener Rute und hechelnd meinen Aufforderungen sklavisch Folge leistet. Sein eigenes Denken fordert auch mich. Ich muss mich in seine Gedankengänge hineinversetzen und einen Schritt weiter sein als er.
Ein gutes Beispiel: Wir gehen spazieren, Paul ist ohne Leine und plötzlich kommt uns jemand entgegen. Würden wir ihn jetzt rufen, dann wüsste er ganz genau, warum. Er würde die Umgebung scannen und schon wäre er in Richtung Mensch oder Hund unterwegs. Warum auch nicht? Da könnte einer ein Leckerchen in der Tasche haben oder es könnte sich um einen Spielkameraden handeln – Pauls Sichtweise. Was wir aber unbedingt vermeiden wollen. Also drehen wir sofort um und gehen in die andere Richtung oder machen etwas, was seine Neugier weckt. Da wir wohl keine groben Fehler bezüglich unserer Bindung gemacht haben, funktioniert das in den meisten Fällen. Leider (noch) nicht immer. Er lernt eben schnell dazu und durchschaut unsere Tricks. Und wird eben noch immer von anderen Hunden magisch angezogen.
Säule 3, die mich sehr zuversichtlich stimmt: Ein Hovawart will gefallen! Langfristig wird das unser wundervoller Weg zu ungetrübtem Glück sein. Paul weiß, dass ich traurig bin, wenn wir wieder einmal Ärger hatten, weil ich unachtsam und er zu kontaktfreudig war. Ich spüre förmlich seinen Konflikt: entscheide ich mich für meinen Spaß oder enttäusche ich mein Frauchen. Hey, er ist in der Pubertät. Er ist ein Teenager, ein Rebell, ein Halbstarker. Wer hört da bitte auf seine Mutter?
Aber wie bereits gesagt, es gibt sie, die lichten Momente. Ich weiß es schon beim Aufwachen, an der Art und Weise wie Paul mich weckt. Kommt er ganz vorsichtig ins Bett gekrabbelt und sieht nach, ob ich schon wach bin, stehen die Vorzeichen gut. Er lässt sich noch zu einer Runde kuscheln überreden, leckt mir ganz sorgsam Hals und Hände. Dann steht uns ein entspannter Tag bevor.
Oder steht er mit seinen staksigen Vorderbeinen am Bettende und bellt leise, aber bestimmt sein tiefes „Wuff“. So laut, dass ich aufwache, aber so leise, damit sein Herrchen nicht aufwacht. Da gibt es auch kein Verhandeln mehr, dann muss der Tag begonnen werden. Ein aufregender Tag für ihn, ein eher stressiger für mich.
Fazit
Ich bin schon jetzt unglaublich gespannt, was ich nächstes Jahr um diese Zeit über meinen Paul schreiben werde. Dann wird er drei und die Pubertät ist überstanden – so Gott will.
Ich weiß es genau, dass er ein großartiger Erwachsener sein wird. Es gibt schon einige hoffnungsvolle Momente. Das hat eine wahre Urgewalt. Ist Paul brav, dann aber richtig! Und weil er es aus tiefstem Herzen möchte! Er kommt umgehend und voller Freude angerannt, genießt meinen Stolz und die Lobeshymnen, seine Streicheleinheiten und Leckerchen.
Mit schmutzigen Füßen bleibt er vor der Haustür stehen und wartet geduldig, bis sie sauber gemacht sind.
Er ist eine so treue Seele. An Tagen, an denen er seine Schwester nicht sehen kann, vermisst er sie. Wenn wir unsere Runde drehen, entgeht ihm kein vorbeifahrendes Auto, weil seine Schwester vielleicht doch noch kommen könnte. Es dauert eine Weile, bis er schließlich entspannt seinen Spaziergang genießen kann.
Es gibt schon jetzt einen sehr großen Entwicklungssprung seit seinem ersten Geburtstag. Damals stahl er wie ein Rabe Essen vom Tisch. So schnell konnte man nicht schauen, hatte er Unmengen verschlungen. Mit allen Tricks mussten wir arbeiten, um wenigstens einigermaßen in Ruhe unsere Mahlzeiten einnehmen zu können. Seine Diebstähle und Kletteraktionen auf den Tisch waren legendär. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass Paul während des Essens irgendwann mal entspannt unterm Tisch oder in seinem Bettchen liegen würde. Wie von Zauberhand war aber von heute auf morgen Schluss.
Alle Widrigkeiten haben nichts mit Paul zu tun. Er ist perfekt! Er ist gerade ein temperamentvoller Teenager, der seine Pubertät in vollen Zügen auslebt, ausleben darf. Ich halte ihm den Rücken frei und greife maximal regulierend ein. Damit er zur Ruhe kommt. Ich habe Podcasts von freundlichen Hundeversteherinnen (es ist in der Tat kein Mann darunter) für Paul und mich entdeckt. Sie geben wertvolle Tipps, wie man seinen Liebling sicher durch die stürmische See navigiert. Das entspannt uns. Ich glaube, dass Paul dankbar dafür ist, was er da hört. Die Vorzeichen für sein erfülltes und glückliches Hundeleben stehen mehr als positiv.
Das Schöne ist, man findet immer neue Wege, wenn man sie denn sucht. So bin ich in einer wunderbaren Facebook-Gruppe gelandet, die das Tier als Spiegel der menschlichen Seele sieht. Gegründet von einer Tierärztin und Tierheilpraktikerin, unter der Prämisse, dass unsere Haustiere tief und untrennbar mit ihren Besitzern verbunden sind. So erspüren diese positive wie negative Emotionen und spiegeln diese wider. Daran glaube ich ganz fest. Dafür lohnt es sich, an mir zu arbeiten, um Paul der beste Wegbegleiter zu sein, den er haben kann.
Herzlichen Glückwunsch, mein geliebter Paul! Auf ein wundervolles Jahr voller gemeinsamer Abenteuer und unzähliger unvergesslicher Augenblicke!