3 Jahre perfekt unperfekter Paul
Der sagenumwobene 3. Geburtstag eines Hovawarts – heute ist es so weit. Unser Paulchen feiert seinen 3. Geburtstag. Endlich? Gott sei Dank? Geschafft? Aus dem pubertierenden Teenager ist ein erwachsener Mann geworden?
Aller guten Dinge sind 3 – oder etwa nicht?
Ich gebe zu, dass ich ganz zu Anfang diesen Tag herbeigesehnt hatte. Paul war so ganz anders als all seine Vorgänger. Lebendiger, um es vorsichtig zu formulieren. Jetzt bin ich fast ein wenig traurig. Paul ist SCHON 3 Jahre alt! 3 Jahre! Wo ist die Zeit geblieben? Eben haben wir doch erst den süßen, kleinen, zerzausten, schwarzen Wollknäuel aus dem Tierheim geholt. Schlafen wollte ich manchmal nicht, weil ich keine Sekunde von der wunderschönsten Zeit mit meinem Hundebaby verpassen wollte. Man konnte Paul förmlich beim Wachsen zusehen.
‚Mit 3 Jahren wird der Hovawart langsam erwachsen, wird er ruhiger. Bis dahin braucht man starke Nerven und vor allem eine strenge Hand und konsequente Erziehung‘ – so zumindest alle Hovawart-Ratgeber in menschlicher oder literarischer Form.
Letztes Jahr habe ich mich an dieser Stelle gefragt, was ich ich wohl heute über Pauls Entwicklung schreiben werde. Jetzt frage ich mich, wie es wohl nächstes Jahr sein wird. Noch besser? Noch zauberhafter? Denn gerade befindet sich Paul in einer fast magischen Metamorphose. Wie von Zauberhand lösen sich Knoten. Wenn man es denn überhaupt Knoten nennen kann.
Wobei ich nicht wirklich weiß, ob sie sich bei Paul oder bei mir lösen. Ich war das Problem. Paul war einfach die ganze Zeit nur Hund, wird und darf es auch für den Rest seines Lebens bleiben.
Lehrjahre – aber nicht für Paul!
Nicht Paul hat gelernt oder musste lernen, ICH musste. Paul ist und war die ganze Zeit nur er selbst und damit perfekt.
Gerade bin ich dieser Seele von Hund unendlich dankbar, dass sie wie ein „Stoßdämpfer“ meine kritischen Blicke, meine in Falten gelegte Stirn einfach nicht beachtet hat. Stattdessen hat Paul mir jeden Tag gezeigt, wie großartig er ist. Wie lieb. Wie zuverlässig. Wie lebensfroh. Wie unbeschwert. Wie glücklich.
Paul ist der Typ Hund, der so schnell nicht aus seinem Selbstverständnis gebracht werden kann. Dem ein starker Wille eigen ist, was gerade dem Hovawart nachgesagt wird, seinen Menschen eines Besseren zu belehren.
Ich frage mich in letzter Zeit immer öfter, warum die meisten Hundeschulen und -trainer so vehement dagegen sind, den Hund zu vermenschlichen. Holen sie ihn nicht gerade mit ihrer Vorstellung von Gehorsam in die Welt des Menschen? Der Hund soll nicht mehr Hund sein, so schnell wie möglich gesellschaftsfähig gemacht werden. Nicht bellen. Nicht springen. Umgehend auf den Rückruf folgen. Sitz und Platz machen. Bei Fuß laufen. Auf Kommando essen. Sich seine Leckerchen verdienen, die in Dummies oder Baumrinden versteckt sind. Nicht schnüffeln so lange er will, schon gar nicht woran er will. Seine Artgenossen nicht beachten. Nicht eigenständig denken. Oder er tanzt mit seinem Menschen oder macht Yoga. Er muss Bällen und Stöcken hinterherjagen, um die Verbundenheit von Mensch und Hund zu demonstrieren. Es wird zusammen gejoggt und Rad gefahren.
Paul würde das jetzt alles tun, wenn wir es von ihm verlangt hätten. Stattdessen tauchen wir bis heute sehr gerne in seine Welt ein und wissen jetzt, was Paul so alles Spaß macht und womit er sich gerne beschäftigt.
Weshalb Paul heute kein Hund von der Stange ist! Paul ist maßgeschneidert. Er ist die perfekte Schnittmenge aus eigenem Denken, eigenen Vorlieben und gesellschaftlicher Verträglichkeit. Ich sehe mich dabei in der Rolle des „Migrationshelfers“, den Hund mit den Menschen kompatibel zu machen.
Paul ist so unglaublich kreativ und lebendig. Ich kann aus dem Stegreif 20 seiner selbstgewählten Aktivitäten aufzählen und immer noch kommt Neues dazu. Ein Blick auf unsere Facebook-Reels lohnt sich, sie zeigen Paul bei all seinen liebsten Beschäftigungen. Das habe ich so bei noch keinem unserer Hunde vorher erlebt. Wie auch? Durch das ewige Stöckchengewerfe, so lange sie jung waren, durch das Fußlaufen und Rückrufen, haben wir ihnen zumindest draußen den Raum für eigene Interessen genommen. Das tut mir heute sehr leid für Pauls Vorgänger.
Paul und die Sache mit Michel von Lönneberga
Wie hat Paul sich denn nun entwickelt? Großartig, um es auf den Punkt zu bringen.
Am besten beschreibt es ihn, wenn man ihn mit meinem Filmhelden aus Kindheitstagen „Michel von Lönneberga“ vergleicht. Genau so ist Paul. Ein liebenswerter Lausejunge, selbstdenkend und vor allem mit dem Herz am richtigen Fleck. Stets auf der Suche nach einem Abenteuer, dabei sehr ideenreich und immer mit den besten Absichten. Mit wedelnder Rute, sich manchmal überschlagend vor Glück. Wer auch nur ein wenig Hundeverständnis mitbringt, sieht Paul schon von Weitem an, dass da kein Monster herannaht. Insofern halten sich schlechte Erfahrungen mit tobenden Spaziergängern gerade in der letzen Wochen in Grenzen. Sei es, weil Paul mit seiner Schleppleine unterwegs ist oder er immer zuverlässiger im Rückruf ist. Wenn wir ihn überhaupt rufen müssen, weil Paul regelmäßig selbständig unsere Nähe sucht. Um ein Leckerchen oder eine Streicheleinheit abzuholen.
So ganz ist die Pubertät noch nicht abgehakt. Es gibt diese Tage, auch wenn die Zeitabstände immer größer werden, da sind Pauls hübsche Ohren auf Durchzug geschaltet. Verbunden mit der dem Hovawart eigenen überdurchschnittlichen Auffassungsgabe und dem Talent im 360 Grad-Winkel zu schauen wie eine Stubenfliege, flog er unlängst zweimal kurz aufeinander folgendend doch mal wieder davon. Magisch angezogen zum einen von einem jungen, schokoladenbraunen Labradormädchen, das über die Begegnung ebenso erfreut war. Umsonst gesorgt. Denn auf dem Weg, meinen kleinen Räuber einzufangen, legte ich mir passende Entschuldigungsworte zurecht, die sofort von einem freundlichen Frauchen im Keim erstickt wurden. Ganz selig schauten wir unseren beiden Hundekindern noch ein ganzes Weilchen zu, wie sie friedlich miteinander schnupperten und sich abwechselnd voreinander wälzten.
Bei der zweiten spontanen Kontaktaufnahme waren weniger die beiden kleinen Hunde erfreut, umso mehr aber ihre Menschen. Auch sie wehrten meine ehrliche Entschuldigung ab, weil sie sich gänzlich entzückt von Pauls Lebensfreude und schließlich von seinem Namen waren – „so ein netter Hund und dann heißt er auch noch Paul“.
Auch wenn mir erst einmal das Herz in die Hose rutscht, wenn Paul seine eigenen Wege geht, so weiß ich aber nur durch diese Erfahrungen, wie herzensgut mein Hund ist. Und dass er, so jung und wild er auch (noch) ist, durchaus richtige Entscheidungen treffen kann.
Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe
„Gebt den Kindern Liebe,
mehr Liebe und noch mehr Liebe,
dann stellen sich die guten Manieren ganz von selbst ein.“
So lautet ein berühmtes Zitat der Pipi Langstrumpf-Autorin Astrid Lindgren. Übrigens auch ein Charakter, der Pauls Wesen sehr gut beschreibt – Pipi Langstrumpf. Auf manche vielleicht etwas anstrengend wirkend, aber ausschließlich auf Pfaden wandelnd, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zumindest zu einem fröhlicheren.
Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, wie es ist, wenn unser einzigartiger Paul angeflitzt kommt, weil er es möchte und ihm danach ist und nicht, weil er muss! Paul macht alles, was auch andere Hunde machen und mit regelmäßigen Trainings gelernt haben. Mit dem feinen Unterschied, dass er es freiwillig und aus eigener Entscheidung heraus tut. Und wir natürlich andere Methoden angewandt haben, wenn man das überhaupt Methode nennen kann. Und es vielleicht auch etwas länger dauert. Paul bestimmt den Zeitpunkt.
Mit Geduld und Liebe beschreibt man es besser. Wer sonst steht mit seinem pubertierenden und ausdauernden Hund 1 Stunde im strömenden Regen und schaut ihm beim Schauen zu? Nimmt es hin, wenn 37 Kilo geballte Energie in die Leine springen, weil irgendwo ein Objekt der Begierde erspäht wurde? Recherchiert stundenlang im Internet und in aller verfügbarer Literatur nach friedvollen Lösungen, erwünschtes Verhalten zu fördern? Legt sich mit Gott und der Welt an, wenn man unseren gemeinsamen Weg in Frage stellt?
With a little help from my friends
Ich habe das nicht alleine geschafft. Es wäre nicht richtig, diesen für mich sehr wichtigen Aspekt auszusparen. Mit unserem wunderbaren Paul ist sehr viel Gutes in unser Leben gekommen. Neben seiner ansteckenden Lebensfreude, die uns unendlich gut tut, auch die richtigen Menschen.
Seit fast einem Jahr haben wir meine liebe Freundin Michèle Roncaglioni an unserer Seite. Sie ist Inhaberin der Sirius-Hundeschule (eine sehr lesenswerte und informative Webseite) in der Schweiz, mit den Schwerpunkten Verhaltensarbeit und Coaching von Mensch mit Hund. Sie kennt Paul über Sprachnachrichten aus meinen ausführlichen Erzählungen und von zahlreichen Videos.
Sie empfahl uns die Schleppleine, mit der unsere Spaziergänge sofort sehr viel entspannter geworden sind. Damit hatten wir vor allem Pauls selbstgewählte Kontaktaufnahmen unter Kontrolle und er hat wiederum ohne zeitraubende Diskussionen oder strenge Kommandos gelernt, mit Hundebegegnungen entspannter zurecht zu kommen. Sieht er einen Hund, dann schaut er ihm nach, sitzend oder liegend. Wir lassen ihm die Zeit, die er braucht, gehen erst weiter, wenn Paul bereit ist. Noch hat Paul eine Individualdistanz, die aber immer kürzer wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns in ein paar Monaten eine Straßenseite genügen wird. Und das alles ohne Training.
Von Michèle haben wir vor allem gelernt, dass weniger mehr ist. Wir trainieren und üben schon lange nicht mehr. Wir freuen uns auf unsere Spaziergänge, reagieren, wenn es nötig ist. Da bekommen wir alle immer mehr Routine und Sicherheit, wir Menschen wie auch unser Paul.
Lustig ist, dass unser Verhalten, obwohl rücksichtsvoll und vorbildlich, Aufsehen erregt. Es ist so süß, wie gelassen Paul beobachtet. Wie sein Köpfchen sich links und rechts bewegt, um nichts zu verpassen. Trotzdem wird gerne vermutet, dass Paul problematisch sei, weil wir ruhige Ecken suchen und abseits stehen, um anderen Hunden und Menschen den Vortritt zu lassen. Damit die anderen Hunde keinen Ärger bekommen, wenn sie sich für Paul interessieren und Paul schlechte Erfahrungen erspart bleiben.
War ich der Auffassung, dass es unbedingt Ziel sein muss, dass Paul mit allen Hunden Freundschaften schließt, habe ich wesentlich dazu gelernt. Paul hat ein paar sehr gut ausgewählte Kontakte. Überwiegend kleine Hunde, mit denen er auf Augenhöhe interagiert. Keine Wettrennen, kein Jagen, eher ein gemeinsames Erleben. Einen englischen Bulldoggen-Rüden gibt es noch, ich bezeichne ihn gerne als 6er im Lotto. Denn beide harmonieren auf eine ganz besondere Art und Weise, es herrscht großes gegenseitiges Interesse. Ebenso keine Rennspiele – es wird geschnüffelt, markiert und voreinander gewälzt. Zum Ausleben der dem Hovawart typischen Spielart, wild und leidenschaftlich, gibt es schließlich seine Schwester. In regelmäßigen Treffen zelebrieren sie ihre Lebendigkeit, können aber auch miteinander entspannen. So dass wir von all unseren Spaziergängen mit einer guten Energie zurückkehren. Zwar müde, aber nicht ausgepowert oder aufgeregt.
Neue Kontakte müssen sorgfältig sondiert werden. Leider bin ich noch nicht konsequent genug in meinen Entscheidungen und lasse mich gegen mein Bauchgefühl zu Begegnungen hinreißen, die wir uns lieber erspart hätten. Auch hier ist weniger meist mehr.
Meine schönste und wichtigste Lektion war, dass die Rasse einzig eine Rolle spielt, wenn es um das Ergründen von Verhalten geht. Nicht wie man sie „erziehen“ muss. So ist der Hovawart vom Wesen her eine starke Persönlichkeit, intelligent und wachsam. Das wird gelobt, in höchstem Maße von uns anerkannt, in unserem Alltag gefördert und alles ist gut. Paul schätzt unser Verständnis und verinnerlicht immer mehr, dass wir uns aufeinander verlassen können. Was Begegnungen anbelangt, wird er somit immer ruhiger und gelassener.
Ende gut, alles gut
Alles ist gut, aber nie zu Ende. Glücklicherweise hat Paul noch ein paar Eierschalen hinter seinen samtweichen, warmen Hängeohren. Insgeheim freut mich das. Ich habe mich so an Paul, sein Wesen und seine Art gewöhnt. Es kristallisieren sich immer mehr Rituale heraus, wir wachsen ständig enger zusammen. Ich liebe sein Temperament, auch wenn es manchmal noch überschäumt. Ich kann es Paul nicht verdenken. Er hat das schönste Leben, das sich ein Hund wünschen kann. Meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit, 24 Stunden täglich. Mein Streben danach, ihn zu verstehen und in seine schöne, heile Hundewelt einzutauchen. Ich bin ihm so dankbar, dass ich so viel von ihm lernen darf.
Was für eine einzigartige Erfahrung, wie sich ein Hund entwickelt, wenn er in seiner Welt bleiben darf. Diese Liebe, Dankbarkeit und dieses Glück habe ich in dieser Vehemenz noch nie erfahren. Sein Blick trifft mich oft mitten ins Herz, so kann nicht einmal ein Dackel schauen. Die Freude, mit der auf unseren Spaziergängen plötzlich angerannt kommt, um uns zu berühren oder sich zwischen unsere Beine zu stellen, ist nicht in Worte zu fassen.
Ich liebe seine Allwissenheit. Wenn er genau weiß, wohin wir fahren, je nachdem in welche Richtung ich abbiege. Seine Küsschen, die er während der Fahrt von der Rückbank aus verteilt. Seine Reaktion, wenn ich den Namen seiner Schwester erwähne, die er gleich sehen darf.
Oder wenn er genau weiß, wenn er ausnahmsweise mal alleine zuhause bleiben muss. Weil wir mit Freunden in einem Restaurant verabredet sind, für das er (noch) nicht gesellschaftsfähig genug ist. Es vielleicht oder wahrscheinlich nie sein wird, weil es einfach nicht seine Welt ist. Nicht zu ihm passt, nicht beachtet zu werden und brav unter dem Tisch zu liegen.
Wenn er ganz leise bellt, morgens zwischen 3 und 4 Uhr, um mich aufzuwecken, weil er mit mir das Stockwerk wechseln möchte, um auf dem Sofa weiterzuschlafen. So leise, dass sein Herrchen nicht davon aufwacht. Dazu muss man wissen, dass Paul normalerweise sehr, sehr laut bellt. Und er bellt gar nicht, egal welche Freude oder Aufregung er gerade aushalten muss, wenn ich schlafe. Dafür weckt er mich spätestens um 8 Uhr und leckt mir ganz zart und vorsichtig über das Gesicht. Um sich zu freuen, dass ich mich freue und um gemeinsam unseren einzigen Kaffee des Tages zu trinken. Noch immer liebt er den verbleibenden Milchschaum in der Tasse. Dann starten wir energiegeladen in unseren gemeinsamen Tag – Tag für Tag.
Paul kann durchaus auch entspannen. Sehr gut sogar. Wenn keine Abenteuer anstehen. Dann wechselt er von einem Lieblingsplatz zum anderen, liegt glückselig auf dem Rücken und streckt alle Viere von sich. Schaut aus dem Fenster, um Menschen oder Vögel zu beobachten.
Oder er genießt unsere Picknicks draußen, bei Wind und Wetter. Rennt voraus zu „unserer“ Bank und freut sich auf sein Super-Leckerchen. Und auf die Freiheit, die er hat, so lange er möchte, in aller Ruhe zu schauen.
Alles kann, alles darf, nichts muss – so leben wir seit fast drei Jahren mit unserem phantastischsten, weltbesten, entzückendsten Paul ein sehr glückliches und erfülltes Familienleben. Und so werden hoffentlich noch sehr, sehr viele weitere Jahre ins Land ziehen, von denen ich keine Sekunde und keine Erfahrung missen möchte.
Herzlichen Glückwunsch, unser über alles geliebter Paul
2 Kommentare
Cornelia
Was für ein berührender Text <3 Ich selbst hatte eine Hovawart Hündin 11 Jahre an meiner Seite – ein wundervolles Wesen.
Noch viele schöne Momente mit Paul.
Alles Liebe,
Cornelia
Monika
So wunderschön geschrieben ;
Das schreit nach einem Buch.
Ich wünsche mir alle Hunde der Welt würden so viel Liebe und Verständnis erfahren.