5 Jahre Paul – Ein unverbogener Hovawart feiert Geburtstag
Wenn es danach geht, feiert Paul jeden Tag Geburtstag. Sein Ehrentag ist ihm einerlei, weil sich Tag für Tag das Leben nur um ihn dreht. Was natürlich in erster Linie an mir liegt. Er ist mein Mittelpunkt. Es ist mir eine Herzensangelegenheit und eine Ehre, ihn in unserem Leben zu haben. Zu einem großen Teil ist seine Präsenz aber auch seiner Persönlichkeit geschuldet. Anders als seine bescheidene und zurückhaltende Vorgängerin, bringt Paul sich selbstbewusst und unbeirrbar in unser Familienleben ein. Er kennt und lebt diesen Stellenwert. So soll es sein, ich wollte es so.
Ich habe die Beiträge anlässlich seines Geburtstages bisher dazu genutzt, ein Resümee zu ziehen, wie er sich jeweils im letzten Jahr entwickelt hat beziehungsweise entwickeln durfte. War immer gespannt, was ich ein Jahr später schreiben würde. Manchmal mit der leisen Hoffnung, dass mein Hundekind „erwachsen“ werden würde. Etwas ruhiger vom Temperament vielleicht.
Gerade in letzter Zeit erkenne ich aber, was ich diesem Wunderwesen alles zu verdanken habe. Dass nicht Paul von mir gelernt hat, sondern ich von ihm gelernt habe. Gerade weil er nicht erwachsen wurde. Nicht nach menschlicher Aufassung. Nicht nach allgemeingültiger Definition und gesellschaftlicher Erwartung.

Heute nehme ich sein Wesen voller Erleichterung und Hintergedanken an. Bin dankbar, dass er noch genau der geblieben ist, wie ich ihn vom ersten Beitrag an beschrieben habe. Ich wäre traurig, wäre er erwachsen und nicht mehr der Paul, der er mit einem Jahr war. Dieser Paul würde mir heute fehlen und ich wäre noch wehmütiger als ich es ohnehin bin. Weil es schon sein 5. Geburtstag ist! Sein 5.! Ich kann es nicht glauben.
Man bekommt immer den Hund, den man braucht
Man bekommt immer den Hund, den man braucht. Esoterischer Quatsch? Nicht für mich, das weiß ich heute. Das weiß ich schon etwas länger. Weil ich darüber nachgedacht habe, als es zum ersten Mal an mich herangetragen wurde. So bin ich unsere Hunde mal durchgegangen. Habe ihre Wesen mit meinen Lebensstationen verglichen.
Unser erster Hund Pascha, ein selbstbewusster Frechdachs, als wir nach dem Studium unsere beruflichen Werdegänge eingeschlagen und ersten Erfolge gefeiert haben. Der lebensfroh und neugierig den Weg mit uns gegangen ist.
Die feine Hundedame Wally, die sich wie ein Puzzlestück in alle Höhen und Tiefen eingefügt hat. Immer darauf bedacht, zu gefallen. Die sich zurückgezogen hat, wenn ich unter der ein oder anderen Unwegsamkeit des Lebens gelitten habe, weil sie nicht zur Last fallen wollte. Wir haben dann zu zweit Wunden geleckt.
Und dann kam Paul. Zu einem Zeitpunkt, als ich unter einer Identitätskrise litt und nach mehr Sinn in meinem Leben gesucht habe. Da war er, mein Lehrmeister. Sinn und Zweck des Lebens sind leben nach seiner Facon. Frisch und frei von der Leber. Nicht jedermanns Liebling zu sein. Auch mal querschlagen und anders sein. Zu seiner Meinung stehen, auch wenn sie anderen nicht gefällt.
Das war gewiss nicht einfach. Es galt jahrelange Muster abzulegen, ungewohnte Wege zu gehen. Maxime zu leben und dazu zu stehen, auch wenn man damit in der absoluten Minderheit ist.
Kein Mensch hätte diesen Zugriff auf mich gehabt. Ich hätte freundlich darum gebeten, mir meine (teilweise sehr engstirnige) Sicht auf alles zu lassen. Aber bei Paul habe ich genau hingeschaut. Ihn hat nichts beeindruckt. Keine Ängste. Keine Vorbehalte. Keine Kompromisse. Paul ist seiner Wege gegangen. Immer wohlwissend was er tut. Schlechte Erfahrungen gab es für ihn nicht. Er konnte sie sofort ablegen. Wenn für ihn etwas keinen Sinn machte, gab es auch nicht wirklich einen.

Pauls Wesen hat auf mich abgefärbt. Ich habe wider jegliche Warnungen erkannt, welch reine Seele er ist. Auch wenn da noch ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter saß, dass mir etwas vom problematischen Hovawart und von Vorsicht einflüstern wollte.
Da mir jedoch mein Hund wichtiger und näher als alles andere auf der Welt ist, ich in erster Linie ihm verpflichtet bin, musste ich mein Schneckenhaus endlich verlassen. Nicht immer klein beigeben, mir nicht ständig nur meinen Teil denken, nicht weiter mit der breiten Masse schwimmen.
Jetzt war ich gefragt, ihm seine Unbedarftheit, seine Reinheit, seine Lebensfreude und sein Selbstverständnis zu bewahren.
Heute weiß ich, dass das die einzige Herausforderung und Schwierigkeit war, die ich mit meinem Hund zu meistern hatte. Mich gegen verstaubtes (Halb)Wissen, Verselbständigung und Mainstream zu behaupten.
Auch wenn das zunächst bedeutete, auf dem Schlachtfeld in die Schusslinie zu geraten. So ganz haben Paul und ich uns bis heute nicht etablieren können, so viel vorweg.
Die Mär von Hunderziehung und -training und wie man auch ohne beides leben kann
Erziehen und Trainieren – beides steht auf meinem Index. Intuitiv, erst recht nach meinem heutigen Wissensstand und den letzten Jahren mit Paul. Inzwischen habe ich eine Art Allergie auf diese unsäglichen Begrifflichkeiten entwickelt. Ich zucke förmlich zusammen, wenn ich davon höre oder lese. Jedoch vergeht kein Tag, ob ich möchte oder nicht, wo die Floskeln nicht fallen. Ein Hund brauche Erziehung, müsse gehorchen. Ein Hund brauche Training und müsse ausgelastet werden.

Wie will man das beurteilen, wenn man die andere Seite nicht kennt? Wenn man nicht bereit ist, die alten Trampelpfade zu verlassen und für eine andere Lebensweise offen zu sein? Es ist ja nicht so, dass ich mit meiner Meinung hinterm Berg halte. Ich schreibe darüber in den sozialen Medien, erzähle im analogen Leben darüber, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Mein Buch-Manuskript liegt so gut wie fertig in der Schublade und wartet darauf, auf Platz 1 in die Spiegel-Bestsellerliste zu klettern. Das Potential hat es allemal. Es wäre bestimmt für den ein oder anderen Hund von Vorteil, wären mehrere Hundeeltern „mutig“, diesen anderen Weg zu gehen. Den freundschaftlichen, liebevollen und herzlichen. Schon schlimm, dass es Mut dazu braucht.
In der Realität gehört es wahrscheinlich zu den heimlichen Statussymbolen sich mit einem braven Hund zu schmücken. Das haben der wöchentliche Besuch der Hundeschule und regelmäßiges Training aus ihm gemacht. Unzählige Kommandos werden aus dem ff beherrscht. Kommandos, von denen ich bislang noch gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Benimmregeln, deren Sinn sich mir nicht erschließen. Dann gibt es noch Impulskontrolle, Abbruchsignale, Markersignale, Deckentraining, Kopfarbeit, Auslastung… Mal ganz abgesehen von dem ganzen anderen Unsinn wie Yoga, Canecross, Dogdancing…

Ich zucke zusammen, wenn in meiner Anwesenheit Hunde reglementiert werden. Sogar von Menschen, die gar nicht so verkehrt sind. Für die ein Tier ebenso wie für mich einen höheren Stellenwert als üblich hat. Aber dieses ganze Sitz-Platz-Bleib-Getue hat sich derart verselbständigt, dass es schon in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint. Warum?
Warum muss ein Hund Sitz machen? Wir geben das Leckerchen doch gerne, oder? Warum muss er Platz machen? Wo ihn das in seinem Fluchtverhalten beeinträchtigt. Warum muss er bleiben, wo er doch gerne nachsehen möchte, wer da kommt?
Die Antworten befriedigen mich alle nicht und haben alle eins zum Ziel: der Mensch ist der Boss. Alles nur Gerede, dass der Hund ein gleichberechtigtes Familienmitglied sei. Einen Teufel ist er. Wenn es gerade passt, wird er beschmust. Ansonsten hat er sich gefälligst zurückzuhalten und zu funktionieren. Kommandos seien schon wichtig. Schließlich wolle man nicht, dass der Hund vom Auto überfahren würde.
Wohl ein Wunder oder Glück, dass mein Paulchen die letzten Jahre unbeschadet überstanden hat. Noch kein Reh gerissen oder einen Fahrradfahrer vom Fahrrad geholt hat…
Die „Paul-Methode“ und wie und wer er heute ist
In letzter Zeit ist mehr denn je von Nachhaltigkeit die Rede. Warum nicht auch in Bezug auf Hunde? Warum macht dieses Thema nicht mal die Runde. Dass Training und Erziehung nicht nachhaltig sind.
Was aber denn dann? Ich lese mir ständig meine Beiträge immer und immer wieder durch. Sowohl hier, als auch in den sozialen Medien. Ich schaue mir ganz oft die vielen Videos an, die ich von Paul gemacht habe.
Ich stehe hinter jedem Wort, das ich jemals geschrieben habe. Jedes Mal entdecke ich aufs Neue etwas Wunderbares an Pauls Verhalten. Wie (realtiv) entspannt aufmerksam er ist, soweit es einem Hofwächter möglich ist. Wie glücklich er ist. Wie perfekt er kommunizieren kann. Wie er sich bemerkbar machen und seine Bedürfnisse anmelden kann.

Allem voran, bin ich sehr stolz, wie natürlich Paul ist. Trotz dass er nicht in einem Rudel, sondern im Familienverbund ist. Nun ist er mittlerweile domestiziert, würde sein schönes und geachtetes Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr gegen ein Leben auf der Straße eintauschen wollen. Aber er könnte es. Weil wir ihn in seiner Natürlichkeit belassen haben. Er muss nichts machen, was er nicht auch machen würde, könnte er für sich entscheiden. Er muss nicht auf Kommando schnüffeln. Muss keine Parcours laufen. Keine Hindernisse überwinden. Nicht auf Baumstämmen balancieren. Er darf liegen, wo, wann, wie lange er möchte. Sitzen, wenn er es möchte. Was er übrigens nicht oft möchte. Er sitzt nur ganz kurz, legt sich schnell hin. Dann kann er besser und bequemer beobachten.
Letzteres, beobachten, ist Pauls absolute Lieblingsbeschäftigung. Es ist seine Genetik, das Wachen wurde ihm in die Wiege gelegt. Für mich im Nachhinein ein Segen. Denn das bringt erstens sehr viel Ruhe und Struktur in unsere Spaziergänge. Zweitens hat er so alles in seinem Verständnis und seinem Tempo gelernt, was er wissen muss und wissen möchte. Gut, dass Paul alles wissen möchte. Er hat emsig über das gewissenhafte Beobachten gelernt. Er ist aus Erfahrung klug geworden. Er hatte und hat alle Zeit der Welt. Raum und Zeit in Hülle und Fülle.
Auf diese Art hat er gelernt, dass von Radfahrern und Joggern keine Gefahr ausgeht. LKW’s und Straßenarbeiter in Leuchtfarben zum Alltag gehören. Auch Hundebegnungen verlaufen in den meisten Fällen reibungslos. Außer die Gegenseite verhält sich übergriffig oder auffällig.

So kehren wir meistens sehr erfüllt von unseren Spaziergängen zurück. Auf die Paul sich nach wie vor sehr freut. Immer lautstark. Das ist nun mal so. Ich kann ihn sehr gut verstehen. Die Spaziergänge sind toll. Auch für mich.
Ich genieße es, ihm zuzuschauen. Zu erahnen, wozu mein Hundekind heute aufgelegt ist. Lieber schlendern und schnuppern oder flitzen und Stöckchen suchen. Oder an strategisch guten Plätzen liegen und beobachten. Oder warten, weil Paul weiß, wo er seine liebsten Artgenossen schon mal getroffen hat. Oder eine Mischung aus allem.
Mit Hunden ist er selbstverständlich auch gerne zusammen. Wir verabreden uns gezielt und in regelmäßigen Abständen, damit er auch diese Leidenschaft zu seiner vollsten Zufriedenheit ausleben darf. Mit Hunden, die sich gegenseitig mögen. Damit er nie frustriert ist, keine schlechten Erfahrungen macht und alles für ihn positiv belegt ist. Ja, Paul hat ein feines Leben. Vielmehr ein respektvolles und erfülltes.
Oft denke ich, ob es ihm wohl lieber wäre, wir würden trainieren. Rückruf, Leinenführigkeit, Fußläufigkeit oder irgendein Kunststück. Das geht mir so durch den Kopf, wenn er vor mir herschlendert, mit erhobener Rute und wackelndem Hintern. Bin mir sicher, dass es nicht so ist.
Ende gut, alles gut
Wir sind ja noch nicht am Ende. Nicht nur wir Menschen lernen niemals aus. Auch unsere Hunde nicht. Aber ich bin beruhigt und erleichtert. Dass die andere Seite nicht recht hatte. Dass man einen Howart erziehen und trainieren müsse. Konsequent, weil die Rasse dickköpfig und nicht ganz einfach sei. Kein Hund für Anfänger.
War ich nicht, ein Anfänger. Trotzdem blieben die Warnungen in meinem Unterbewusstsein hängen.
Heute fühle ich mich den Hovawart-Experten zugehörig. Nicht im herkömmlichen Sinn. Auf meine Weise.
Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass auch der Hovawart die sanfte Hand zu schätzen weiß. Nicht nur Mischlinge und anspruchslose Rassen. Ich sehe in den sozialen Medien sehr viele Hovawarte mit Maulkorb und an der Schleppleine.
An der Schleppleine ist Paul auch unterwegs. Hat bei uns aber ganz andere Hintergründe. Paul ist es einerlei, ob er mit oder ohne Leine ist. All seine Aktivitäten sind auch mit Leine möglich. Er darf so lange schnüffeln, wie er möchte. Ich bleibe immer in angemessenen Abstand, dass er sich nicht unter Druck fühlt.

Statt ihn mit Rückruf zu malträtieren und ihn ständig in seinen Aktivitäten zu stören, kann er seine Qualitätszeit ohne meine Zwischenrufe an der Leine genießen, wenn auf unseren Spaziergängen viel los ist. Er schaut sich viel öfter nach mir um, wenn er im Freilauf ist. Was seiner Genetik geschuldet ist, nicht etwa Misstrauen. Weil wir uns nie verstecken, einfach umdrehen oder abbiegen oder Spielchen mit ihm treiben. Wir geben Paul immer bescheid, in welche Richtung wir laufen oder folgen ihm einfach. Er ist der unumstrittene Star des Spaziergangs.
Rückruf brauchen wir übrigens nicht, Paul kommt von alleine. Würden wir ihn rufen, weil Gefahr in Verzug ist, würde er den Braten riechen. Rückruf funktioniert anders bei uns. Wir rufen ihn und laufen gleichzeitig in die andere Richtung, wenn jemand kommt. Ohne Ausnahme dauert es nicht lange und Paul steht stolz neben uns.
Es hat diesen 5. Geburtstag gebraucht, um in meiner Sicherheit zu sein. Um meine Hand für diese Seele von Hund ins Feuer zu legen. Ich musste gegen so viele Stromschnellen schwimmen. Obwohl ich meinem Hund viel näher als jedem anderen bin, ich jeden seiner Wimpernschläge deuten kann, blieben Hintergedanken.
Heute weiß ich, ich habe die besseren Berater an meiner Seite. Denn ohne sie wäre ich so unbeirrbar nicht auf meinem Weg geblieben. Ich habe die fast tägliche Rücksprache gebraucht und auf diesem Weg eine meiner heute engsten Freundinnen gefunden. Sie alle haben ihr „Handwerk“ auch gelernt. Nur eben anders. Es sind ganz andere Persönlichkeiten, als das Gros der Trainerschaft und Hundemenschen.
Paul hat mir meine Zweifel nicht übel genommen. Er ist so selbstbewusst, dass er über jeden einzelnen davon erhaben war. Selbst wenn böse Zungen meinten, mir mein Hundekind schlecht reden zu müssen. Paul ist voller Liebe, liebt Berührungen und Zuwendungen jeglicher Art. Eben noch im Tiefschlaf, hebt er sein Beinchen, gibt seinen Bauch frei und wedelt mit der Rute. Er ist das personifizierte Vertrauen. Hat noch nie im Ansatz geknurrt, seine Zähne gezeigt oder gezuckt. Man darf ihm ein Leckerchen aus dem Mund nehmen, wenn es seinem empfindlichen Magen nicht gut tun würde.
Paul durfte und darf Hovawart bleiben. Ein Hovawart wacht nun einmal. Nichts entgeht ihm. Er kann Situationen sehr gut einschätzen. Kommt uns jemand zu nah, was auch mir oft unangenehm ist (besonders in der Dunkelheit), macht Paul seinen Job. Diesen nehme ich ihm nicht. Gleich, wie es auf andere wirkt. Das Maß der Dinge für mich ist, dass Paul nie beißen würde. Würde ich ihn von der Leine lassen, würde er stellen. Nicht mehr und nicht weniger. Dafür wurde der Hovawart gezüchtet. Ich bin nicht Gott und nehme ihm seine Genetik. Mein Mann ist im übrigen froh, Paul an meiner Seite zu wissen.
Wie hat kürzlich eine ältere Dame gesagt, die mit ihrer kleinen Mischlingshündin unterwegs war und sie und Paul zum ersten Mal Kontakt hatten. Bin selbstverständlich vorsichtig, weil ich die Bedenken vor einem großen, schwarzen Hund respektiere… „Das sieht man doch, dass der nichts tut“. Ja, man sieht es!